Erntedank – nicht nur wegen Speis und Trank
27.09.2024 Wort zum SonntagDie Maus Frederick lebte in einem kleinen Loch. Als es Herbst wurde, begannen alle Mäuse, Futter für den Winter zu suchen. Die Mäuse waren also fleißig am Sammeln – Äpfel, Nüsse, Stroh uvm. Frederick machte nicht mit und sammelte nichts dergleichen. Und wenn ...
Die Maus Frederick lebte in einem kleinen Loch. Als es Herbst wurde, begannen alle Mäuse, Futter für den Winter zu suchen. Die Mäuse waren also fleißig am Sammeln – Äpfel, Nüsse, Stroh uvm. Frederick machte nicht mit und sammelte nichts dergleichen. Und wenn die Mäuse sagten: „Frederick, hilf uns doch beim Sammeln!“, dann sagte Frederick: „Tu ich doch! Ich sammle Sonnenstrahlen, Farben und Wörter, sogar ganze Geschichten und Lieder!“ Die Mäuse hatten das Gefühl, Frederick wolle sich über sie lustig machen. Aber weil sie ihn eigentlich gern hatten, sammelten sie weiter und ließen ihn in Ruhe. Im Winter hatten die Mäuse aber genug Vorräte, dass es für jeden reichte und sie sogar noch Frederick mit durchfüttern konnten. Doch im Laufe des Winters wurden sie immer trauriger. Ihnen fehlte die Sonne, ihnen fehlten die Farben. Sie redeten immer weniger. Und zum Singen hatten sie schon gar keine Lust. Eines Tages sagte Frederick: „Ihr seid so traurig und so schweigsam. Ich will euch aufmuntern. Ich zeige euch jetzt meine Vorräte.“
Und er holte seinen Vorrat an Worten hervor und beschrieb den anderen Mäusen die Sonne mit ihren Strahlen in leuchtendem Gelb, so dass den Mäusen richtig warm wurde. Er beschrieb ihnen auch die anderen Farben: das Grün der Wiese, das Blau des Himmels, das Rot der Blumen und all die anderen Farben, die sie aus dem Sommer kannten. Er erzählte ihnen Geschichten, die er sich gemerkt hatte. Und er sang ihnen die Lieder vor, an die er sich erinnern konnte. Die Mäuse merkten: Wenn man genügend Vorräte an Essen hat, stillt das den Hunger. Aber man braucht auch genügend Farben im Kopf und Geschichten und Lieder, damit man nicht traurig ist.
Es ist also ein Segen, wenn man solche Vorräte an Farben, Geschichten und Liedern hat, wenn man sich davon etwas bewahren kann. Es ist ein Segen, solche Erinnerungen zu haben. Und es tut gut, von ihnen zehren zu können, sich an ihnen zu freuen, wenn es einem gerade nicht so gut geht. Sich dann zu erinnern an eine Farbe, eine Geschichte, ein Erlebnis, ein Lied! Das hilft, das baut wieder auf. Das ist nicht nur schön, sondern wir erkennen auch, wieviel Gutes wir empfangen haben. Wieviel Gutes uns Gott geschenkt hat. Er hat uns nicht nur mit Essen und Trinken versorgt. Er hat auch immer wieder dafür gesorgt, dass wir fröhlich sein konnten, dass wir Schönes erleben durften, dass wir auch bewahrt wurden in kritischen Situationen. Wenn wir das bewusst erkennen, hat das etwas mit Erntedank zu tun. Aus Dankbarkeit für so vieles, was uns geschenkt ist, können wir auch unser weiteres Leben ganz anders angehen. Dann haben wir wieder frischen Mut und Zuversicht für das, was vor uns liegt und vielleicht sogar sorgt. Denn wir wissen: Gott, der uns bis hierhergebracht und versorgt hat, der wird uns auch weiterhin bewahren und uns vieles schenken, das uns gut tut: „So ist Gott: Er schenkt mir Kraft und lässt meinen Weg vollkommen sein!“ (Ps 18,33)
Gernot Hochhauser