WORT ZUM SONNTAG
19.12.2025 Wort zum SonntagWenn Gott leise anklopft: Mut zur Nähe im Advent
Es ist erstaunlich: Die Bibeltexte dieses 4. Adventsonntags erzählen von der unscheinbarsten und zugleich mutigsten Revolution der Geschichte: Gott wird Mensch. Nicht im Tempel, nicht im Palast, sondern im Schoß ...
Wenn Gott leise anklopft: Mut zur Nähe im Advent
Es ist erstaunlich: Die Bibeltexte dieses 4. Adventsonntags erzählen von der unscheinbarsten und zugleich mutigsten Revolution der Geschichte: Gott wird Mensch. Nicht im Tempel, nicht im Palast, sondern im Schoß eines jungen Mädchens, in der Verwirrung eines verunsicherten Mannes, im Schatten einer Randprovinz.
Jesaja kündigt ein Zeichen an, das viel zu klein scheint für unsere Erwartungen (Jes 7, 10–14): „Die Jungfrau wird ein Kind empfangen.“ Kein Blitz vom Himmel, keine militärische Rettung, sondern ein Kind. Gott kommt nicht als Schlagzeile, sondern als Neugeborenes, das man halten, wickeln, beruhigen muss.
Josef im Evangelium (Mt 1, 18–24) ist der moderne Mensch: ordentlich, pflichtbewusst, verletzt. Sein Lebensplan zerbricht. Maria ist schwanger und er weiß, dass das Kind nicht von ihm ist. Wie viele von uns kennen solche Momente? Ein Befund beim Arzt, eine Kündigung, eine Trennung. Alles geordnet, und plötzlich wird alles Chaos.
Josef will „im Stillen“ gehen. Das klingt so zeitgemäß: Konflikte vermeiden, möglichst ohne Aufsehen. Aber mitten in seine schlaflosen Nächte hinein spricht Gott, nicht mit Donnerschlag, sondern im Traum: „Fürchte dich nicht, Maria als deine Frau zu dir zu nehmen.“ Gott fordert ihn nicht auf, alles zu verstehen, sondern zu vertrauen. Josef hatte sicher diesen Psalm Ps 24 (23) gelesen: „Wer darf hinaufziehen zum Berg des Herrn?“ Die Antwort ist ernüchternd und befreiend zugleich: Wer „reine Hände“ hat und „ein lauteres Herz“. Nicht: wer perfekt, fehlerlos, immer stark ist, sondern der, der bereit ist, sich von Gott aufrütteln und reinigen zu lassen. Eine der wichtigsten Adventsbotschaften, an die Paulus auch die Römer erinnerte (Röm 1, 1–7): Ihr seid „berufen, heilig zu sein“. Das klingt hoch, beinahe abgehoben. Vielleicht stellt man sich Heilige in farbigen Fenstern vor, nicht am Steuer des Traktors, an der Supermarktkassa oder im Schichtdienst im Pflegeheim. Und doch beginnt Heiligkeit dort, wo ich Gott in meinen Alltag hineinlasse, in die laute Küche, das Büro, den Stall, das Klassenzimmer…
Was könnte das aber konkret heißen, jetzt, kurz vor Weihnachten? Vielleicht bei einer jungen Mutter, die sich im Stress entscheidet, nicht perfekt zu dekorieren, sondern zehn Minuten still neben der Krippe zu sitzen. Oder bei einem Unternehmer, der seinen Leuten den vereinbarten Weihnachtsbonus zahlt, obwohl die Zahlen eng sind, und er schenkt ihnen damit Würde. Oder noch bei Jemandem, der einen Menschen anruft, mit dem er seit Jahren zerstritten ist, nicht, weil alles geklärt wäre, sondern weil Gott immer wieder neu anfängt… Immanuel „Gott mit uns“ ist der Name des Kindes. Nicht Gott über uns, Gott gegen uns oder Gott irgendwann einmal, sondern Gott mit uns. Mit uns in guten und schlechten Momenten des täglichen Lebens.
Vielleicht ist das die stille Zumutung dieses Advents: nicht nur auf das Christkind zu warten, sondern Gott in genau dieses konkrete Leben hineinzulassen, das wir manchmal selbst nicht mehr schön finden. Immanuel würde noch heißen: Du musst dein Leben nicht vorher in Ordnung bringen, bevor Gott kommt. Er kommt, um Ordnung in das Chaos des heutigen Lebens zu bringen, langsam, zärtlich, unspektakulär.
Advent bedeutet dann, hinzuhören wie Josef, zu wagen wie Maria, zu vertrauen wie Paulus und wie der Psalmist zu beten mit offenen Händen. Vielleicht klopft Gott in diesen Tagen auch bei uns an, leise, unscheinbar, in einem Menschen, einem Satz, einem Blick. Die Frage bleibt also: Werden wir ihn erkennen, wenn er nicht wie ein Wunder aussieht, sondern wie ein Kind, das unsere Hände braucht?
Innocent Mbarushimana BA
Kaplan im Seelsorgeraum Oberes Ennstal
