WORT ZUM SONNTAG
24.10.2025 Wort zum SonntagZwischen Stolz und Dankbarkeit
Liebe Christen, Schwestern und Brüder im Herrn!
Liebe Leser des „Ennstalers“!
An diesem Wochenende feiern wir den österreichischen Nationalfeiertag. Ein Tag, an dem viele Fahnen gehisst ...
Zwischen Stolz und Dankbarkeit
Liebe Christen, Schwestern und Brüder im Herrn!
Liebe Leser des „Ennstalers“!
An diesem Wochenende feiern wir den österreichischen Nationalfeiertag. Ein Tag, an dem viele Fahnen gehisst werden, an dem wir stolz auf unser Land und dankbar für Frieden, Freiheit und Wohlstand sein dürfen. Doch Stolz und Dankbarkeit – das ist ein spannendes Paar. Sie liegen oft nah beieinander, können sich aber auch im Weg stehen. Das Evangelium dieses Sonntags erzählt von zwei Männern, die zum Tempel hinaufgehen, um zu beten (Lk 18,9–14). Der eine ist ein Pharisäer (frommer, gesetzestreuer Jude), der andere ein Zöllner (verachteter Steuereintreiber zur Zeit Jesu). Der Pharisäer stellt sich hin und zählt Gott all seine Verdienste auf: dass er fastet, spendet, ehrlich lebt. Er meint es wohl gut – aber sein Blick geht nur auf sich selbst. Der Zöllner hingegen bleibt im Hintergrund stehen, schlägt sich an die Brust und sagt: „Gott, sei mir Sünder gnädig.“ Jesus sagt: Nicht der, der sich selbst lobt, geht gerechtfertigt heim, sondern der, der seine Bedürftigkeit erkennt.
Diese Geschichte hat nichts gegen Stolz im positiven Sinn. Es ist gut, sich über das Gelungene zu freuen, über die Schönheit unseres Landes, über Gemeinschaft und über Menschen, die Verantwortung übernehmen. Aber sie erinnert uns daran, dass echter Dank nicht aus Überheblichkeit, sondern aus Demut wächst. Wer alles als selbstverständlich nimmt, verliert den Blick für das Geschenk. Vielleicht passt genau das in unsere Zeit: Wir leben in einem Land, das Frieden kennt – etwas, das für viele Menschen auf der Welt keine Selbstverständlichkeit ist. Wir haben Freiheit, Bildung, soziale Sicherheit. An einem Tag wie dem Nationalfeiertag dürfen wir stolz darauf sein. Aber dieser Stolz soll ein demütiger sein: einer, der erkennt, dass vieles Geschenk ist – von Gott, von Generationen vor uns, von Menschen, die sich tagtäglich für das Gemeinwohl einsetzen. Als ich vor kurzem meinen Dienst als Pfarrer im Oberen Ennstal begonnen habe, wurde mir das wieder besonders bewusst. Vieles, was wir in unseren Dörfern und Gemeinden erleben – das Miteinander, die Hilfsbereitschaft, der Glaube, der trägt – ist nicht selbstverständlich. Es ist Frucht langer Traditionen, gemeinsamer Arbeit, und vor allem: des Vertrauens darauf, dass Gott mitgeht.
So kann dieser Nationalfeiertag auch ein Tag des Gebets sein.
Nicht nur, um Gott für Österreich zu danken, sondern auch, um uns neu bewusst zu machen, wie wir leben wollen: nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern mit offenen Händen und Herzen. Denn Gott sieht nicht zuerst auf das, was wir vorweisen können, sondern auf das, was in uns lebendig ist – auf das ehrliche Bemühen, aufrichtig zu leben und gut zu handeln.
Mögen wir also – wie der Zöllner im Evangelium – fähig bleiben, uns selbst mit ehrlichem Herzen zu betrachten. Dankbar, aber nicht selbstgerecht. Stolz, aber nicht überheblich. Und immer offen für das, was Gott uns schenken will.
Pater Vinzenz
Schager OSB
