„Wir verbrauchen zu viel Boden“
22.08.2025 RegionalesNach 600 umgesetzten Bauprojekten hat sie ihre Rolle als Architektin hinterfragt. Caroline Rodlauer im Gespräch über Bodenverbrauch, Landschaftsbild und lasche Raumordnung.
Wenn Sie als Architektin und Ortsbildsachverständige durch den Bezirk Liezen ...
Nach 600 umgesetzten Bauprojekten hat sie ihre Rolle als Architektin hinterfragt. Caroline Rodlauer im Gespräch über Bodenverbrauch, Landschaftsbild und lasche Raumordnung.
Wenn Sie als Architektin und Ortsbildsachverständige durch den Bezirk Liezen fahren. Was fällt Ihnen auf?
Der Bezirk Liezen ist meiner Meinung nach der schönste und vielschichtigste Bezirk Österreichs. Durch meine berufliche Tätigkeit ist mir in den letzten Jahren eine zunehmende Zersiedelung aufgefallen, aber auch der Eingriff von Neubauprojekten in gewachsene Ortsbilder.
Schmerzt es Sie, wenn Sie verschandelte Landstriche sehen?
Absolut. Wir leben in einer qualitativ hochwertigen Lebensregion, in der insbesondere auch der Tourismus seinen Stellenwert hat. Baukultur ist die Visitenkarte einer Region, das erste, das man sieht, wenn man aus dem Fenster blickt. Umso wichtiger ist es, damit sorgsam umzugehen, denn Fehlentwicklungen sind zumeist irreversibel. Aber es freut mich, dass Gemeinden verstärkt auf ihre Ortsbilder Wert legen.
Sie sind Architektin und gleichzeitig blicken Sie kritisch auf den ausufernden Bodenverbrauch. Wie passt das zusammen?
Nach rund 600 selbst umgesetzten Projekten, davon jedoch die allermeisten im Bestand, hat bei mir ein Prozess der Sinnesfrage eingesetzt. Mir wurde mehr und mehr die Verantwortung gegenüber der Region, der Baukultur und der Landschaft bewusst und ich habe mich weiter damit beschäftigt. Wir verbrauchen in Österreich viel zu viel Boden – zugleich gibt es paradoxerweise aber auch extrem viel Leerstände. Diese Gebäude sind schon gebaut und bezahlt, aber unter- oder ungenutzt. In Summe sind das ganz 40.000 (!) Hektar. Eigentlich ist Österreich fertiggebaut. Trotzdem gibt es einen sorglosen Umgang mit Grund und Boden. Da muss man sich selbst hinterfragen, auch die Rolle des Architekten – und das immense Chancenfeld für die gesamte Baubranche mit Bauen im Bestand erkennen.
Das Landschaftsbild ist ein Kapital, das die Grundlage für den Tourismus bildet. Gleichzeitig wird Vie les unternommen, um die Gegend optisch zu beeinträchtigen und Bausünden schmücken sträflich das Landschaftsbild. Nun sind aber „schön“ und „hässlich“ subjektive Attribute. Wie kann man das Landschaftsbild dennoch schützen?
Ich finde diese Attribute gar nicht so subjektiv. Es ist doch ein Unterschied, ob ein Gebäude in ein bestehendes Ensemble passt oder ob es als „Einzelkämpfer“ und oft übertriebenem Gestaltungswillen rausleuchtet.
Mit der passenden, bestenfalls in die Landschaft gesetzten Gebäudeform, stimmigen Materialien, regionstypischen Dächern und dezenten Farben kann auch ein zeitgemäßes, den heutigen Wohnansprüchen gerechtes Haus geschaffen werden, das sich gleichzeitig unaufgeregt einfügt. Weniger ist immer mehr, damit können mediterrane Toskanahäuschen oder mintfärbige Pultdach-Kuben zumeist nicht aufwarten.
Wer trägt die Verantwortung für die Baukultur?
Behörden, Sachversätndige, Planer und Ausführende, aber auf jeden Fall auch die Bauherrinnen und Bauherren selbst. Als Hausbesitzer hab ich nicht nur die Verantwortung für meine eigenen vier Wände, sondern auch gegenüber der jeweiligen Umgebung, deren Teil es ist und ein Jahrhundert in der Landschaft steht.
Aus der Vogelperspektive betrachtet lässt sich in unseren Breiten eine überbordende Zersiedelung feststellen. Das erhöht nicht nur die Infrastrukturkosten wie Trinkwasserleitungen, Kanal und Stra- ßenerhaltung, sondern hat auch einen hohen Flächenverbrauch zur Folge. Hat die Raumordnung versagt?
Die Raumordnung gibt es seit den Siebziger-Jahren, ist jedoch vielerorts zu wenig stringent und inkonsequent. Wenn du mit einem Flugzeug von Österreich nach Deutschland fliegst, ist sofort ersichtlich, wo Bayern mit seinen kompakten Siedlungsschwerpunkten und weitläufigen Agrarflächen beginnt. Warum? Bayern hat, analog zu Südtirol oder der Schweiz eine klarere und vorausschauende Bodenpolitik und steht öffentliches Interessewohl stärker über kurzfristige Einzelinteressen. Erschwerend kommt hinzu, dass Bauland einen wesentlich größeren Immobilienwert als Ackerland hat und der Druck auf die Bauernschaft groß ist. Das Naturkapital der (nicht vermehrbaren!) Ressource Boden sollte dringend vermehrt in politische und wirtschaftliche Gesamtüberlegungen Einzug halten.
Pro Tag werden in Österreich zwischen 11 und 12 Hektar Boden verbraucht und damit dauerhaft der Landwirtschaft entzogen. Das sind in etwa 15 Fußballfelder! Wie lange kann das noch so weitergehen? Gehen wir zu sorglos mit dem Boden um?
Wenn wir in dem Tempo weitermachen, gibt es rechnerisch in 200 Jahren keine Agrarflächen mehr in Österreich und damit sinkt unsere Ernährungssouveränität. Vergleichen wir unsere Werte mit Nachbarländern, ist bei uns der pro-Kopf-Flächenverbrauch doppelt so hoch wie in der Schweiz oder Deutschland. Wir haben zudem das dichteste Straßennetz und die höchste Dichte an Supermärkten europaweit. Letzteres bedingt auch zu einem Gutteil die dadurch entstehenden höheren Lebensmittelpreise hierzulande.
Das Häuschen im Grünen ist Wohntraum vieler. Die großen Parkflächen beim Einkaufszent- rum am Ortsrand sind praktisch. Gleichzeitig veröden Ortskerne. Ambitionen, Ortszentren Leben einzuhauchen sind meist mit hohem Aufwand möglich und fruchten wenig. Wo hakt es?
Es müssen die gesetzlichen und fördertechnischen Rahmenparameter für Bestandsumbau gegenüber Neubau rapide verbessert und attraktiviert werden. So lange bei historischen Gebäuden im Ortszentrum oft wenige Zentimeter Raumhöhe oder Durchgangsbreite behördlich eine gescheite Nachnutzung verhindern, solange Einzelhandelstempel weiterhin eingeschoßig genutzt und mit vorgelagerten immensen Parkplatzflächen zulässig sind, wird der Flächenverbrauch durch Neubau bevorzugt werden und die Ortskerne weiter aussterben.
Sie haben erst kürzlich das Buch „Umbauen statt neu bauen“ veröffentlicht. Was war der Anstoß dafür?
Mit dem Thema beschäftige ich mich seit vielen Jahren, weil es hochaktuell ist. Mit dem Buch, erschienen im Pustet-Verlag, möchte ich inspirieren, dass Umbaukultur den Zeitgeist trifft und die Zukunft der Baubranche. Es finden sich darin Gastbeiträge, Interviews mit Kolleginnen und Kollegen, Umbau- und Förder-Tipps, sowie 25 pfiffige Beispiele aus ganz Österreich, die auch nachahmbar sind. Die Lektüre ist kein Fachbuch, sondern ist in verständlicher Sprache geschrieben und eignet sich für Bauherren, Gemeinden und alle Interessierten.
Caroline Rodlauer betreibt seit 2009 ein Architekturbüro. Mittlerweile betreut sie nur mehr ausgewählte Projekte, die sie mit ihrer Philosophie vereinbaren kann. Sie ist Bau- und Ortsbildsachverständige für sechs Gemeinden im Bezirk Liezen, ist Lektorin an der TU Graz und der FH Joanneum und gibt österreichweit Vorträge. Das Buch „Umbauen statt neu bauen“ ist in der Buchhandlung Wallig und im gut sortierten Fachhandel erhältlich.