„Wir müssen sehr wachsam sein“
04.04.2025 RegionalesDie EU-Abgeordnete Elisabeth Grossmann erklärt Schutzmechanismen für den europäischen Wirtschaftsraum und zeigt Schlupflöcher auf, die es zu stopfen gilt.
Die EU plant Maßnahmen gegen Online-Handel aus Asien. Um ...
Die EU-Abgeordnete Elisabeth Grossmann erklärt Schutzmechanismen für den europäischen Wirtschaftsraum und zeigt Schlupflöcher auf, die es zu stopfen gilt.
Die EU plant Maßnahmen gegen Online-Handel aus Asien. Um welche Maßnahmen handelt es sich genau?
„Es gibt einige Maßnahmen, die die EU unternehmen wird: die Abschaffung der Zollfreigrenze bis 150 Euro, die Einführung einer Bearbeitungsgebühr und strenge Produktsicherheitskontrollen. Konzerne wie Aliexpress oder Temu haben die Zollfreigrenze im großen Stil ausgenützt und Produkte wieder in Einzelteile zerlegt, sodass sie gebührenfrei nach Europa geschickt werden können. Neben diesem Schlupfloch, das zu einer regelrechten Paketflut geführt hat, kommen so auch Produkte in die EU, die nicht den Sicherheitsanforderungen entsprechen. Neben dem Schaden für Konsumenten ist das gleichzeitig ein großes Problem für europäische Produzenten, die mit dem Import von Billigwaren nicht mithalten können.“
Inwieweit soll die EU Mindeststandards festsetzen? Ist es realistisch, dass die EU entlang der gesamten Lieferkette Mindeststandards vorgeben kann?
„Das ist der Diskussionspunkt, wo sich die politischen Parteien in der Einschätzung unterscheiden. Das Lieferkettengesetz sieht vor, dass nur Produkte gehandelt werden dürfen, die soziale und ökologische Mindeststandards erfüllen. So kann der eigene Standort geschützt werden, gleichzeitig fördert es bessere Arbeitsbedingungen für Menschen in Drittstaaten und schützt die Umwelt. Besonders das Thema Kinderarbeit ist in den Lieferketten relevant. Es geht bei dem Lieferkettengesetz um die globale Verantwortung, in der die EU eine Vorreiterrolle einnimmt, und diese muss gestärkt statt geschwächt werden. Es muss Wettbewerbsgleichheit herrschen und dazu braucht es Schutzmechanismen. Wenn unsere Betriebe strengen Auflagen unterliegen, die für Importwaren nicht gelten, ist es nur eine Frage der Zeit, bis sie ihre Produktion einstellen müssen. Dann machen wir uns abhängig und unsere Versorgungssicherheit steht am Spiel. Wie es derzeit aussieht, zielen die USA und China genau darauf ab. Deswegen müssen wir in Europa sehr wachsam sein.“
Schutz des Wirtschaftsraumes, Menschenrechte, Umweltschutz: An den Zielen vieler Verordnungen herrscht weitgehende Einigkeit, bei den konkreten Vorschlägen hagelt es oft Kritik. So auch bei der Entwaldungsverordnung. Kann man die Abholzung von Wäldern damit eindämmen oder bedeutet sie Bürden für die Forstwirtschaft?
„Die Entwaldungsverordnung nimmt multinationale Konzerne und Schwerstindustrien in die Verantwortung, um nicht länger zur Ausbeutung der Natur und Arbeitskräfte auf anderen Kontinenten beizutragen. Durch diese Rechtsvorschriften wird die europäische Wirtschaft geschützt und die Zukunft unserer Umwelt steht im Vordergrund. Die Forstwirtschaft kämpft nicht mit Umweltstandards, sondern so wie alle anderen Wirtschaftsbereiche mit den hohen Preisen, die nach der Inflation weiter anhalten. Das Ziel muss daher sein, die Teuerung zu bekämpfen und nicht Umweltstandards zurückzuschrauben. Das widerspricht sich auch nicht, sondern geht Hand in Hand.“
Ein großer Kritikpunkt ist, dass der angekündigte Schutz für europäische Betriebe mit deklarierten Auflagen in Bürokratie ausufert. Wird in der Entwicklung der Maßnahmen der bürokratische Mehraufwand mitgedacht?
„Es ist das große Ziel, die Dinge zu vereinfachen. Dabei ist es klüger, langfristig gültige Regeln zu schaffen, sodass sich die Leute nicht ständig auf etwas Neues einstellen müssen. Klare, leicht nachvollziehbare Regelungen, bei denen man nicht Heerscharen von Juristen beschäftigen muss, um diese zu verstehen. Die Einschätzung meiner Fraktion ist es aber auch, dass Deregulierung nicht der Vorwand sein kann, um die Rechte von Arbeitnehmerinnen und Konsumenten zu beschneiden und Umweltstandards abzubauen. Es braucht eine Durchforstung und einfach umsetzbare Regelungen. Die Bürokratie verursacht aber nicht nur die EU, sondern sehr stark die Mitgliedsstaaten selbst, die in der Ausgestaltung einen Umsetzungsspielraum haben. Manches Mal werden im Vorfeld Ängste geschürt und in Regelungen etwas hineininterpretiert, die gar nicht so gemeint sind.“
Global gesehen heizt sich die Stimmung zu einem Handelskrieg auf. Donald Trump droht mit Zölle und es herrscht ein reger Wettbewerb zwischen USA und China. Bleibt die EU im Wettrennen um Technologieführerschaft auf der Strecke (Stichwort Künstliche Intelligenz oder Elektromobilität)?
„USA und China haben die Offenheit unseres Marktes genutzt, um Fuß zu fassen. Das Streben nach Unabhängigkeit war in der Vergangenheit zu wenig ausgeprägt. Wir waren bequem und haben bestehende Angebote übernommen und in der gemeinsamen Entwicklung ist Europa noch zu wenig vereint. Die Vereinigten Staaten sehen sich als große Einheit und haben dadurch einen gro- ßen Vorteil. Gerade in zentralen Forschungsfragen müssen wir unsere Ressourcen bündeln. Deswegen braucht es mehr Europa – die Tendenz zeigt aber derzeit in eine andere Richtung. Je mehr wir uns wieder in Nationalstaaten zerfleddern, umso angreifbarer werden wir. Darauf zielen die Einflussnahmen der USA, von Russland und China ab.“
Der weltweite Rechtsruck kostet der SPÖ Stimmen. Hat die Sozialdemokratie, wie wir sie aus den vergangenen Jahrzehnten kennen, ausgedient? Liegen die brennenden Themen woanders und muss sich die Partei neu erfinden?
„Der Handlungsauftrag für die Sozialdemokratie ist größer denn je. Die Schere zwischen Reich und Arm geht immer weiter auf und gefährdet den sozialen Frieden. Unsere Systeme, wie das Sozialund Gesundheitssystem oder Arbeitnehmerrechte, sind über Jahrzehnte von den Vorgängergenerationen aufgebaut worden. Doch sie sind unglaublich in Gefahr, weil man versucht sie zu untergraben. Sobald Rechtsparteien an der Macht sind, nehmen sie Arbeiterkammer und Gewerkschaften aber auch Medien und Justiz ins Visier. Viele Rechte, welche als selbstverständlich angesehen werden, sind in akuter Gefahr.“
