„Seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt.“ (Mt 28,20). Diese Verheißung Jesu begleitet uns in besonderer Weise durch die Advent- und Weihnachtszeit.
Mit dem ersten Advent beginnt es: das Warten. Klein und Groß sind eingeladen sich auf diese ...
„Seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt.“ (Mt 28,20). Diese Verheißung Jesu begleitet uns in besonderer Weise durch die Advent- und Weihnachtszeit.
Mit dem ersten Advent beginnt es: das Warten. Klein und Groß sind eingeladen sich auf diese besondere Zeit des Innehaltens einzulassen. Adventkranz und Adventkalender begleiten die Tage – sichtbare Zeichen für ein unsichtbares Geschehen. Jede Woche wird es heller, ein Licht mehr erhellt den Kranz, und mit jeder geöffneten Tür wächst die Vorfreude. Das Warten selbst bekommt Gestalt. Es ist nicht leer, sondern erfüllt von Hoffnung, von Erwartung, von der leisen Ahnung, dass etwas Großes bevorsteht. Doch warum eigentlich? Was zieht uns so sehr zu dieser Nacht hin? Was lässt uns Jahr für Jahr neu erwarten, neu hoffen, neu lauschen?
In den schönen Tälern des Ennstals, wenn der erste Schnee fällt und der Lärm der Welt verstummt, spüren wir: Etwas kündigt sich an. So wie die Natur in der Winterzeit ruht, lädt uns der Advent ein, innezuhalten. Wir bereiten uns auf die Begegnung mit Christus vor: der mit uns geht, selbst in den stillsten Wegen unseres Lebens. Der Advent ruft aus dem Strom des Alltags heraus. Er fordert uns dazu auf, Räume des Herzens zu öffnen, in denen wir uns jene Fragen stellen dürfen, die wirklich von Bedeutung sind, aber auch bewusst Gott Raum in uns zu geben.
Der Advent meint nicht die Abwesenheit von Sorge, sondern will in uns das Vertrauen wecken, dass Gottes Licht stärker ist als jede Dunkelheit. So ist Advent nicht Flucht aus der Welt, sondern die Ermutigung, in der Welt zu hoffen.
Zu Weihnachten geschieht etwas Einzigartiges: Gott wird Mensch. Der Zauber der Geburt mit all seinen Tönen, Wellen und Gefühlen liegt in der Luft. Und doch wird alles überlagert von einem Geräusch, auf das alle warten und hoffen: Der erste Schrei des Neugeborenen. Ein durchdringender Laut, verletzlich und kraftvoll zugleich. Er ist Ausdruck des Lebens, Zeichen dafür, dass ein Mensch angekommen ist. Doch in dieser Nacht wird nicht irgendein Kind geboren, sondern das eine: Durch das Christuskind wird Gott Mensch, wird greifbar, berührbar, verletzlich. Gott teilt unser Leben, unsere Freuden und unsere Ängste, unsere Belastungen und unsere Grenzen. Er atmet dieselbe Luft wie wir.
Viele von uns tragen aus der eigenen Kindheit Bilder aus dem Advent und von Weihnachten tief im Herzen: die Rorate in der frühen Morgenstunde, wenn man noch im Dunkeln zur Kirche gegangen ist und nur das Kerzenlicht den Raum erhellte; das gemeinsame Krippenbauen zu Hause, oft mit Moos vom Waldrand und Figuren, die schon Generationen begleitet haben; das Turmblasen oder das Singen vertrauter Lieder, die die Botschaft von Weihnachten zum Klingen bringen. Der Duft von Tannenzweigen, Weihrauch und frisch gebackenen Keksen gehört ebenso dazu wie das gespannte Warten auf das Christkind. Diese Traditionen sind mehr als lieb gewordene Bräuche. Sie haben uns geprägt, oft ohne große Worte. Sie erzählen von Gemeinschaft, von Geborgenheit und davon, dass Weihnachten ein Fest ist, das Herz und Sinne anspricht. In ihnen wird erfahrbar, was Glaube im Alltag bedeutet: dass Gott nahekommt – mitten in unser Leben, so vertraut und zugleich so geheimnisvoll wie ein Licht in der Nacht.
Weihnachten wird Wirklichkeit in den Momenten, in denen wir füreinander da sind: bei einer Tischgemeinschaft, in der Nachbarschaftshilfe, in einem Gebet für andere. Weihnachten wird sichtbar, wenn wir einander in die Augen sehen und sagen: „Du bist nicht allein.“ So wird das Kommen Gottes konkret: Durch uns, durch jede helfende Hand, durch jedes liebevolle Wort, durch investierte Herzenskraft.
Weihnachten erinnert uns schließlich daran, dass niemand allein unterwegs ist, sondern Teil einer Gemeinschaft ist. Gerade da, wo wir beheimatet sind im Glauben und Leben, zeigt sich wie tragfähig Gemeinschaft sein kann: Wenn Menschen füreinander da sind, einander mittragen, wenn Freude und Sorge geteilt werden. Gemeinschaft wächst dort, wo wir einander zuhören, Unterschiede aushalten und den Mut haben, gemeinsam weiterzugehen. Weihnachten lädt uns ein, diese Gemeinschaft zu stärken. So wird aus vielen einzelnen Menschen ein „Wir“ in Gemeinschaft, das trägt.
Gott wird Mensch und wir gehen auf ihn zu, um ihm zu begegnen. Nicht als ferne Idee, sondern als Nähe, die spürbar wird: in Liebe, in Hoffnung, im Frieden. Gott kommt zu uns – mit jedem Atemzug, in jeder Begegnung und gibt uns darin die Gewissheit: „Ich bin bei Euch alle Tage!“.
Mit gesegneten Grüßen und ein frohes Weihnachtsfest!
Mag. Johannes Freitag, MBA
Weihbischof der Diözese Graz-Seckau