Es ist wieder Herbst im Kindergarten
07.11.2025 Junges EnnstalZwischen Schnupfennasen, Tränen und unsichtbarer Bildungsarbeit.
Sieben Uhr morgens. Kaum habe ich die Eingangstür aufgesperrt und das Licht eingeschaltet, stapeln sich schon die ersten Aufgaben vor mir. Der Wochenplan muss aktualisiert, die Geburtstagstafel ...
Zwischen Schnupfennasen, Tränen und unsichtbarer Bildungsarbeit.
Sieben Uhr morgens. Kaum habe ich die Eingangstür aufgesperrt und das Licht eingeschaltet, stapeln sich schon die ersten Aufgaben vor mir. Der Wochenplan muss aktualisiert, die Geburtstagstafel überarbeitet werden – denn heute steht noch die Geburtstagsfeier für ein dreijähriges Kind an. In meinem Kopf bin ich schon fünf Schritte weiter, bevor ich überhaupt meine Jacke ausgezogen habe. Während ich in meine Patschen schlüpfe, rinnt mir die Nase. Kein Wunder, denke ich, bei all den Viren, denen ich tagtäglich ausgesetzt bin. Spätestens da weiß ich: Es ist wieder Herbst im Kindergarten.
Die wohl unbeliebteste Jahreszeit im Pädagoginnen-Milieu. Die Zeit der Eingewöhnungen, der Schnupfennasen, der nassen Schaukeln und Regenpfützen. Und wenn alles nach Plan läuft, kommen Husten und Läuse gleich noch dazu. Nach ein paar Minuten Stille – ein äußerst seltenes Phänomen – trudeln die ersten Kinder ein. Einige sind noch müde, andere erzählen schon die fünfte Geschichte, bevor sie ihre Schuhe ausgezogen haben. Manchen fällt der Abschied noch schwer. Noch bevor ich den ersten Schluck Kaffee trinken kann, trockne ich die ersten Tränen, schmiere Butter auf Frühstücksbrote und lese Bücher vor – manchmal alles gleichzeitig. Den Kaffee trinke ich später. Kalt. Wie jeden Tag.
Zeit für den Morgenkreis. Bis der Gruppenraum aufgeräumt ist, dauert es wie immer länger als gedacht. Sitzen dann endlich alle im Kreis, braucht es nur noch fünf Anläufe, bis auch wirklich alle zuhören. Für einen kurzen Moment herrscht Ruhe – bis sich zwei um einen Sitzplatz streiten. Ich atme tief durch, schlichte, erkläre, beruhige. Am Ende des Tages werde ich wieder unzählige Konflikte begleitet und aufgearbeitet haben. Auch eine gute Streitkultur will schließlich gelernt sein.
Endlich geht‘s hinaus in den Garten. Also fast. Zuerst müssen 21 Gatschhosen, Gummistiefel, Pullover und Jacken angezogen werden. Vor allem die Jüngsten brauchen dabei viel Unterstützung. Die Älteren schaffen es meist allein – auch wenn die Schuhe hin und wieder verkehrt herum sind. Auf einem Arm halte ich ein einjähriges Kind, das weint, weil es schon müde ist, während ich gleichzeitig Kinderschuhe binde und einem Mädchen erkläre, dass der Wind nicht stark genug ist, um ihre Haarspange wegzuwehen. Die größte Herausforderung im alterserweiterten System: Allen Kindern gerecht zu werden. Denen, die gerade gehen lernen und denen, die bald in die Schule kommen.
Nachdem die Kinder sich im Garten ausgetobt haben, geht das Spiel wieder von vorne los. Alles ausziehen, Hände waschen, Mittagessen. Davor noch Windeln wechseln, Tisch decken, Betten herrichten – und natürlich Mittagskreis nicht vergessen. Zwischen Essen austeilen, Chaos ordnen und die jungen Kinder beim Essen unterstützen bleiben mir rund 30 Sekunden, um meine eigene Portion hinunterzuschlingen. Dann schnell sauber machen und Tische und Böden wieder auf Werkseinstellung zurücksetzen. Während ich die Kinder zum Händewaschen schicke, hoffe ich, dass diesmal nicht der ganze Gruppenraum geflutet wird.
Manchen fallen schon fast die Augen zu, also Schnuller und Teddy schnappen und ab in den Schlafraum. Jetzt noch die Jüngeren zum Schlafen bringen, bevor für die Älteren das Nachmittagsprogramm beginnt.
Irgendwann geht auch dieser Tag zu Ende. Mein T-Shirt ist vollgerotzt und mein Kopf dröhnt. Erschöpft verlasse ich den Kindergarten. Was ich hinter mir lasse, ist nur ein Ausschnitt aus einem unglaublich fordernden Alltag in einem Kindergarten in der Großstadt. Die Bedingungen sind oft grenzwertig. Und doch bleibt unsere Arbeit für die Gesellschaft oft unsichtbar. Was von außen wie Spielen, Basteln und Singen aussieht, ist in Wahrheit Bildungsarbeit – Beziehungsgestaltung, Konfliktlösung, Sprachförderung, emotionale Begleitung. Wir legen Grundsteine fürs Leben, ohne dass es jemand wirklich sieht. Und auch wenn der Alltag manchmal überwältigend ist, weiß ich: Diese unsichtbare Arbeit prägt die Zukunft – und die nächste Generation – mehr, als viele je ahnen werden.
Elisa Schütz

