„Ernst-Fall“ in Trieben
24.10.2025 RegionalesDer 140 Meter hohe Werksturm, der „Lange Ernst“, wurde vergangene Woche gesprengt. Identitätsverlust oder Aufbruchstimmung?
Vergangener Samstag, Tag der Sprengung: Schon um kurz vor halb 7 ist Monika Haberl, Kommandantin der Freiwilligen ...
Der 140 Meter hohe Werksturm, der „Lange Ernst“, wurde vergangene Woche gesprengt. Identitätsverlust oder Aufbruchstimmung?
Vergangener Samstag, Tag der Sprengung: Schon um kurz vor halb 7 ist Monika Haberl, Kommandantin der Freiwilligen Feuerwehr Trieben Werk, in der Einsatzzentrale direkt gegenüber des einstigen RHI-Areals anzutreffen. Mit dem Fall des Werksschlots, dem Langen Ernst, geht auch für sie heute ein Kapitel ihres Lebens zu Ende. Elf Jahre lang war sie als Qualitätsmanagerin am RHI-Standort in Trieben tätig. Seit zehn Jahren befehligt sie die Freiwillige Feuerwehr Trieben-Werk, die bis 2022 noch Werksfeuerwehr hieß. Viel zu oft werde ihr die Frage gestellt, wozu die einstige Werksfeuerwehr noch aktiv sei, so die Kommandantin, was „im Herzen weh tut“, wie sie sagt. Man habe zwar das klare Bekenntnis von Seiten der Gemeinde, doch wenn die Finanzierung durch die RHI in einigen Jahren auslaufe oder größere Anschaffungen zu tätigen seien, wisse sie nicht, wie es weitergehe. Ihre ganze Hoffnung liege „auf etwas Neuem, das hier entsteht, um wieder Betriebsfeuerwehr sein zu können“, so Haberl. Denn ans Aufhören denke niemand: „Wir sind Feuerwehrleute durch und durch“, betont Haberl, die als Katastrophenhilfsdienstkommandantin die höchste Feuerwehrfunktionärin ihres Dienstgrads in Österreich ist. Bis zum letzten Jahr war sie noch die einzige Frau in der Freiwillige Feuerwehr Trieben-Werk, „nun sind wir zu dritt“, sagt Haberl, die seit der Umgründung einen Zuwachs der Mannschaft verzeichnen kann.
Blick nach vorne
Um acht Uhr finden sich die ersten Ehrengäste im örtlichen Kaffeehaus Hupf ein. Vor dem Gebäude hat Markus Rieger seine Kamera aufgebaut, um Bürgermeister Klaus Herzmaier zu interviewen. In Trieben aufgewachsen, hat Rieger sich intensiv mit dem Fall des Wahrzeichens und dem Rückbau des einstigen Magnesitwerks beschäftigt. Daraus entstanden ist ein Videoprojekt, das die Geschichte der Stadt und der Menschen aufarbeitet. Einst als Arbeitersiedlung gegründet, wurde Trieben zur Heimat vieler Familien, die im Magnesitwerk ihr Einkommen fanden. Daher „wollte ich mich damit beschäftigen, welche wirtschaftlichen, sozialen und identitären Auswirkungen der Niedergang der Industrie auf die Menschen hat.“ In den vergangenen Wochen führte Rieger viele persönliche Gespräche, denen er einen gemeinsamen Tenor entnehmen könne, wie er sagt: „Die meisten sind wehmütig, aber auch froh, dass dieses Kapitel nun endlich abgeschlossen werden kann. Schließlich haben die Betroffenen schon stark unter der Schlie- ßung gelitten, die sich mit dem Aufrechterhalten einer Instandhaltungsbelegschaft so lange hingezogen hat. Nun kann der Blick endlich nach vorne gehen.“
Weiterentwicklung der Stadt
Positiv in die Zukunft blickt auch Bürgermeister Klaus Herzmaier, der gegen halb 10 den Festzug vom Rathaus vorbei am Langen Ernst hinauf zum einstigen Gästehaus des Werks anführt. Auf den Wiesen rund um das Gebäude haben sich bereits zahlreiche Zuschauer versammelt, die die Sprengung live miterleben wollen. Zwar „haben wir versucht, vor weiten Anreisen abzuraten, um die Zahl der Zusehenden gering zu halten, doch es hat sich im Vorfeld trotzdem abgezeichnet, dass es eine große Bewegung im Paltental geben wird“, so der Bürgermeister. Unterstützung in der Besucherlenkung bekommt Herzmaier vom Gaishorner Unternehmen Dynamap, das mittels App „Verbotszonen einzeichnen und jeden Besucher zu seinem Platz führen kann“, zeigt sich Herzmaier dankbar für die Unterstützung. Um 11.20 Uhr wird das Oberhaupt der Stadt gemeinsam mit dem Leiter der Abbrucharbeiten den Zündknopf der Sprengladung drücken, was „den Puls schon schneller werden lässt“, wie er sagt. Das Gästehaus hat der Stadtchef nicht zufällig als jenen Ort gewählt, von dem aus die Ehrengäste die Sprengung beobachten werden. Hier eröffnet sich die Aussicht auf den Langen Ernst und das einstige Werksareal wohl am besten. Die Trümmerhaufen, die sich rund um den Werksturm angesammelt haben, sollen bis spätestens Februar verschwunden sein. Gespräche mit Interessenten seien am Laufen und „ich bin guter Dinge, dass es relativ rasch funktionieren wird, dass diese Verhandlungen zu einem positiven Abschluss kommen“, so Herzmaier. Großes Plus der hier entstehenden Freifläche: „Die I1 Industriewidmung, die direkte Bahngleisanbindung und eine eigene Begleitstraße zum Autobahnzubringer“, fasst Herzmaier zusammen, der „mit Fingerspitzengefühl“, wie er sagt, die Ansiedelung neuer Betriebe mit der Weiterentwicklung der Stadt zeitlich gut abstimmen wolle, sodass „wir Wohnraum und Kinderbetreuungsplätze schaffen können, ohne uns finanziell als Gemeinde zu überfordern“, so Herzmaier.
Neue wirtschaftliche Impulse
Unter den Ehrengästen des heutigen Tages ist auch Gerhard Tomani. Er hat das Werk von 1991 bis 2012 geleitet, wodurch „es einerseits schon ein eigenartiges Gefühl ist, zuzusehen, wie ein über 100 Jahre alter Industriestandort und auch mein beruflicher Lebensinhalt eliminiert werden“, wie er sagt, doch „zugleich habe ich mich darüber gefreut, dass keine Industrieruine zurück bleibt. So besteht die Chance, wieder neue wirtschaftliche Impulse setzen zu können.“ Während in den 1980er-Jahren das Werk noch über eintausend Menschen beschäftigte, hat Tomani den Betrieb „mit 580 Mitarbeitenden übernommen und die Aufgabe gestellt bekommen, innerhalb von zwei Jahren 300 davon abzubauen“, erinnert er sich zurück. Zwar habe man dann „um 25 Prozent weniger produziert, doch das mit einem Personal, das um mehr als die Hälfte reduziert wurde“, so der Werksleiter, der dies als die „schlechteste Strukturreform dieses Betriebs“ bezeichnet. Neun Jahre nach seiner Pensionierung endete der Betrieb im Jahr 2021 nach über 110 Jahren Industriegeschichte. Was davon übrig blieb, war der Lange Ernst, das Wahrzeichen der Stadt. An diesem Tag endete auch seine Geschichte.



