Dunkle Geschichte brandaktuell
08.08.2025 RegionalesIm September findet die Veranstaltungsreihe „Dachstein-Dialoge“ statt. Intendant Philipp Blom und Obfrau Regina Stocker erörtern das diesjährige Motto: „Wer gehört zu uns?“
Als man an Sie herantrat, die Intendanz für ...
Im September findet die Veranstaltungsreihe „Dachstein-Dialoge“ statt. Intendant Philipp Blom und Obfrau Regina Stocker erörtern das diesjährige Motto: „Wer gehört zu uns?“
Als man an Sie herantrat, die Intendanz für die Dachstein-Dialoge zu übernehmen, stellten Sie sich die Frage: „Braucht es ein weiteres Festival?“ Was antworten Sie, wenn ich Ihnen die Frage heute stelle?
Philipp Blom: „Ja, Sie haben recht, zuerst habe ich mich gefragt, ob es nun wirklich noch ein Festival in Österreich braucht, denn es gibt ja schon viele. Aber als ich den Dachstein besuchte, den Menschen dort zuhörte und mit ihnen ins Gespräch kam, habe ich gemerkt, wie wichtig es ist, über genau dieses Thema nachzudenken, gemeinsam historische Traumata aufzuarbeiten, schwierige Themen mit Offenheit und gegenseitiger Achtung zu diskutieren, Differenz auszuhalten, aber auch Grenzen zu setzen. Dafür ist ein Festival ein wunderbarer Ort zum Nachdenken, Zuhören, ins Gespräch kommen oder sich von toller Musik bewegen zu lassen. Das wird scheinbar mit jedem Tag wichtiger. Demokratie überlebt nur dann, wenn sie von Demokraten getragen und gewollt wird.“
Warum ist die Region um den Dachstein genau der richtige Ort für ein Festival der Toleranz?
Regina Stocker: „Die heimische Bevölkerung musste sehr schmerzvoll erleben, was es heißt, seinen Glauben nicht frei ausüben zu können – und das über 180 Jahre. Erst das sogenannte Toleranzpatent sicherte 1781 die Gleichstellung der Religionen. Das bedeutete wirkliche Gefahr für Leib und Leben und prägt bis heute das Zusammenleben in der Region. Man möchte meinen, dass ob dieser intensiven Geschichte, Toleranz in Form von Respekt seinem Gegenüber selbstverständlich geworden ist. Aber wir erleben Zeiten, wo so vieles vergessen scheint. Weltweit. Wir müssen intensiv an einem gedeihlichen Miteinander arbeiten, damit auch Errungenschaften wie Demokratie, Menschenrechte und die Menschlichkeit selbst nicht ins Hintertreffen geraten. Diese sind nicht selbstverständlich und deshalb, mit dieser unserer Geschichte, die Gründung der Dachstein-Dialoge.“
Das diesjährige Festivalmotto lautet „Wer gehört zu uns?“. Wer gehört zu uns, Herr Blom?
Blom: „Das ist die große Frage! Wer ist drinnen und wer ist draußen? Wie wollen wir als Gesellschaft, als Demokratie auf diese Frage antworten? Menschen haben viele Identitäten und es kommt immer darauf an, welche betont werden. Wie definieren wir Zugehörigkeit und wen schließen wir aus? Gruppen und Kollektive müssen auch Grenzen haben, aber es kommt immer darauf an, wie und warum sie definiert werden. Wir wollen darüber diskutieren, Gedanken austauschen und voneinander lernen.“
Was kann Kultur, was können Festivals wie die Dachstein-Dialoge zur Toleranz in unserer Gesellschaft beitragen?
Stocker: „Allein das Aufmerksammachen auf die Geschehnisse in unserer Region während der Gegenreformation in Verbindung mit aktuellen, brennenden Themen bewirkt hoffentlich ein Nach- und Bedenken und macht sensibel für die damit verbundenen Fragen. Eines der traurigsten Dinge ist doch, dass wir als Menschen nicht fähig sind, aus der Geschichte zu lernen und wir immer wieder das ,Darauf-gestoßenwerden‘ brauchen, damit nicht die Gefahr der schlimmen Wiederholung droht. Wir wollen mit den Dachstein-Dialogen die großartige Möglichkeit bieten, zu lernen, zu hinterfragen, zu reflektieren, durch Anregung von Vorträgen, Diskussionen und Gesprächen. Damit das Ganze aber auch sehr persönlich und gemeinschaftlich wahrgenommen werden kann, was den Austausch untereinander anregt, gibt es bei unserem Festival die Angebote in kleineren Formaten an speziellen Orten in Ramsau am Dachstein und Filzmoos.“
Die Dachstein-Dialoge widmen sich in diesem Jahr dem 500. Jahrestag der Bauernkriege. Worin besteht die Aktualität dieses historischen Ereignisses für Euch?
Stocker: „Die Aktualität besteht für mich darin, dass wir hier, in Österreich, in Sicherheit lebend, diesem grausamen Geschehen gedenken, während irgendwo auf dieser Welt heute, genauso wie damals vor 500 Jahren, Verbrechen gegen die Menschlichkeit stattfindet.“
Blom: „Vor 500 Jahren wurde die Frage ,Wer gehört zu uns?‘ hier grausam beantwortet. Diejenigen, die Protestanten waren, gehörten plötzlich nicht mehr dazu, obwohl sie seit Generationen Nachbarn gewesen waren. Heute hören wir von ethnischer Säuberung und religiöser Gewalt in anderen Ländern, aber das ist auch hier passiert, immer wieder, und die Geschichte bietet einen hochaktuellen Anlass, sich mit diesen Mechanismen auseinanderzusetzen.“
Auf welche Veranstaltungen freut Ihr Euch am meisten?
Stocker: „Auf jeden, denn das miteinander ins Gespräch kommen und Diskutieren nach jeder Veranstaltung ist großartig. Dass zwei heimische Chöre ihr Können in Verbindung mit einer Lesung aus Briefen der damals Vertriebenen durch den fantastischen Schauspieler Cornelius Obonya in der evangelischen Kirche in Ramsau am Dachstein darbieten werden, zählt bestimmt zu einem der emotionalen Höhepunkte.“
Blom: „Sie sind so verschieden! Wir haben Diskussionen und Konzerte von Klassik bis Jazz, Reden und Wanderungen, Filme, ein historisches Seminar und einen Workshop mit einer Psychotherapeutin. Das wird sehr, sehr dicht und spannend. Jeden Abend spielt der wunderbare Cellist Reinhard Latzko zum Ausklang Solosuiten von Bach in einer kleinen Kirche. Wenn der ganze Tag mit allen Ideen und Begegnungen vorüber ist, wird das ein idealer Moment der Sammlung sein.“
Dachtein-Dialoge
Das internationale Festival für Toleranz findet von 19. bis 25. September in Filzmoos und Ramsau statt. Rund 20 Veranstaltungen stehen an verschiedenen Orten am Programm. Darunter finden sich Diskussionsformate, Vorträge, Workshops und musikalische Akzente. Die Eröffnungsrede hält die Schriftstellerin Eva Menasse. Erwartet werden weiters u. a. Raoul Schrott, Ebrahim Afsah, Judith Kohlenberger, Maja Haderlap, Solmaz Khorsand, Shila Behjat, Barbara Tóth und Cornelius Obonya. Eintrittskarten für einzelne Beiträge oder Tickets für das gesamte Festival sind auf der Webseite dachstein-dialoge.at erhältlich.