Harter Konkurrenzkampf hat Handelsketten zu Rabatt-Schlachten getrieben. Darunter leidet die Wertigkeit der Lebensmittel und die gesamte Wertschöpfungskette bis hin zum Urproduzenten –
dem Bauern. Landesrat Johann Seitinger im Gespräch über Versorgungssicherheit, Skandale in der Lebensmittelindustrie und über eine verpflichtende Herkunftskennzeichnung.
Landwirte geraten seit Jahrzehnten mehr und mehr unter Druck. Viele schließen ihre Stalltür für immer und es steht die Versorgungssicherheit auf dem Spiel. Wie konnte es so weit kommen?
Das Thema Versorgungssicherheit ist durch den Krieg und durch Covid-19 richtig ans Licht gekommen. Ob Medikamente, Bodenschätze oder Lebensmittel – wir haben erstmals gesehen, dass globale Wirtschaftskreisläufe im Notfall nicht funktionieren. Das hat dazu beigetragen, dass der Konsumentenschaft bewusst wurde, welchen Wert die Versorgungssicherheit im großen Kontext hat. Einer der Schwachpunkte Österreichs ist, dass nahezu die gesamte Palette aller Produkte über den Weg der Großhandelsketten an den Konsumenten gebracht wird und nicht mehr über die Direktvermarktung. Im Handel haben sich ein paar Lebensmittel zu Lockprodukten entwickelt. Lange Zeit war das die Milch oder das Fleisch. Mit Spottpreisen hat sich der Wettbewerb gegenseitig zu noch mehr Rabatten beflügelt. Das ist für mich eine Perversion.
Warum?
Wenn ich so ein sensibles Produkt wie das Fleisch, am Ende der Kette mit einem fünfzigprozentigen Rabatt ausstatte, nur um es wie einen alten Reifen an den Konsumenten zu bringen, ist das für mich das Schlimmste überhaupt. Das gibt es in anderen Ländern kaum. Das ist eine österreichische Kultur des Produktverschenkens, des Preisdrückens.
Also sind die Handelsketten schuld?
In Österreich gibt es eine sehr konzentrierte und starke Handelskettenwelt, die möchte ich gar nicht verdonnern. Sie haben ihr Maximales herausgearbeitet, zum Teil auch im Sinne der Konsumenten. Was ich mir wünschen würde ist, dass man auch bereit ist bei sensiblen Produkten, wie zum Beispiel Lebensmitteln, nicht immer nur den günstigsten Preis im Visier zu haben. Sondern dass man auch weiß, dass Billigpreise Schlimmes auslösen können, bis hin zur Einstellung der Produktion, bis hin zu einer Abhängigkeit, die wir alle selbst nicht haben wollen. Wenn Bauern lieber eine Photovoltaik-Anlage am Acker errichten anstatt Getreide anzubauen, sind wir wieder abhängig vom Getreide aus Russland oder der Ukraine.
Viele Konsumenten greifen bereits bewusst zu regionalen Lebensmitteln. Oft haben sie allerdings gar nicht die Möglichkeit, weil es an einer durchgehenden Herkunftskennzeichnung fehlt.
Die Herkunftskennzeichnung ist nicht die ultimative Generallösung zur Beseitigung aller Probleme, die wir in der Landwirtschaft haben, aber wir können damit einen sensiblen Konsumenten, von denen es Gott sei Dank immer mehr gibt, zunehmend mehr Informationen zum Produkt anbieten. Bei den Großküchen ist uns das bereits gelungen. Laut Primärzutatenverordnung muss bei Fleisch, Milch und Eier bis Mitte 2023 ausgewiesen sein, wo diese Primärzutaten herkommen. Seitens der Wirtschaft und Gastronomie stoßen wir auf großer Widerstand.
Sind Supermärkte auch davon betroffen bzw. ändert sich etwas bei der Kennzeichnung in den Supermarktregalen bei den Primärprodukten?
Auch in den Supermarktregalen ist die Kennzeichnung der Primärprodukte von verpackten/verarbeiteten Lebensmitteln vorgesehen. Die Verordnung der Bundesregierung ist aber noch nicht beschlossen. So muss in Zukunft auf der Käseverpackung gekennzeichnet sein, woher die Milch kommt. Am Eiaufstrich wird ersichtlich, ob die Eier aus Österreich stammen. Bei Produkten wie unverarbeitetem Rindfleisch, den meisten Obst- und Gemüsesorten, Fisch, Krebs- und Weichtiere sowie Eiern und Olivenöl ist dies schon länger vorgeschrieben.
Nun sind auch heimische Lebensmittelverarbeiter in Kritik gekommen. Zuletzt erschütterten grausame Bilder eines steirischen Geflügelschlachtbetriebs das Image österreichischer Tierwohlstandards. Muss sich etwas ändern?
Die Bilder, die durch die Medien gingen, sind unentschuldbar. In so einem sensiblen Bereich von der Lebensmittelproduktion über Transport bis hin zur Schlachtung und Verarbeitung dieser Produkte, gibt‘s in der Gesellschaft nahezu keine Toleranz für Fehler. Wir müssen uns jeden Tag bemühen, dass wir dieser Nulltoleranz mit bestem Wissen und Gewissen entsprechen. Zu diesem Fall müssen wir uns mehrere Fragen stellen. Ist es ein systemisches Versagen? Funktionieren diese Schlachtsysteme nicht mit der Ethik und Moral die wir uns vorstellen? Dann müssen wir in dem System etwas ändern. Ist es ein menschliches Problem? Sind die Leute nicht mehr in der Lage die erforderliche Sensibilität aufzubringen, die man haben muss, wenn man mit Tieren als Lebewesen zu tun hat? Dann müssen wir die Leute schulen, denn dafür braucht man eine gewisse Grundethik und Grundmoral. Die dritte, zentrale Frage lautet: Ist der Preisdruck verantwortlich, dass man seine Reserven so ausreizen muss um möglichst schnell möglichst viel verarbeiten zu können? Dann müssen wir zurückschalten. Aber das wird sich dann auch im Preis niederschlagen.
Mit anderen Worten: Tierwohl hat seinen Preis.
Wenn ich ständig das Billigste vom Billigen haben will, und dann in den Werbeprospekten noch einmal mit einem Rabatt nachgelegt wird, zahlt das gesamte System in diese schandhafte Gesamtdynamik ein. Ich darf mir dann nicht erwarten, dass hinten ein hohes Qualitätsprodukt rauskommt. Daher mein Aufruf: Lebensmittel müssen in Zukunft mehr an Wert gewinnen. Wir müssen wieder zurück zu einer Wertegesellschaft in dieser Lebensmittelfrage. Mit dieser Wertegesellschaft entwickeln wir eine neue Gesundheitsgesellschaft.
Das heißt verstärkte Kontrollen alleine reichen nicht?
Wir haben ein dichtes Kontrollinstrumentarium entlang der Wertschöpfungskette. Es gibt ständige Kontrollen, bis das Produkt im Regal liegt. Aber selbstverständlich stellen wir uns die Frage wo wir noch Kontrollpunkte hinzufügen können. Ich kann bei jedem Hendl einen Tierarzt anhängen, wenn’s notwendig ist, aber irgendwann muss das jemand bezahlen. Wenn es einer Korrektur bedarf, werden wir sie sofort vornehmen.
Sie hatten vergangenen Dienstag alle großen Schlachthofunternehmer zu einem Gespräch. Was haben Sie denen gesagt? Werden konkrete Maßnahmen getroffen?
Wir haben uns intensiv darüber unterhalten, welche Schlüsse zu ziehen sind und es sind alle übereingekommen, dass man nicht zur Tagesordnung übergehen kann und dass wir zur Erhöhung der Standards die notwendigen Maßnahmen setzen. Auch wenn sie unangenehm sind. So wird etwa die Videoüberwachung in den sensiblen Bereichen forciert und die Mitarbeiter sollen umfassend geschult werden. Wir wollen auch eine Meldestelle einrichten, wo Verstöße gegen Tierschutzstandards anonym den Behörden gemeldet werden können. So wird gewährleistet, dass bei Vergehen rasch gehandelt und Missstände beseitigt werden können.
Wo liegen die Schwerpunkte hinsichtlich regionale Kreisläufe bei Lebensmitteln in den kommenden Jahren?
Ernährung muss das Thema des 21. Jahrhunderts werden. Mit einem Schlag haben wir den Klimaschutz in der Hand, mit einem Schlag haben wir die Gesundheitskosten im Griff und wir bringen die Produktion auf die richtige Ebene. Ich möchte dem Thema viel mehr Bildungsqualität und Zeit widmen, das ist der Weg den ich einschlagen möchte.
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